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Tag 4 : It’s Not Easy Having A Good Time

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Samstag, 15.Februar, Beginn 21:00 Uhr

Wilde Renate Party

Wir haben uns entschlossen, einen besonderen Abend im Club Wilde Renate zu veranstalten. Die Parallelen der Geschichte im Hauptfilm des Abends mit dem Schicksal des Clubs sind einfach zu groß, um es nicht zu tun. Außerdem, wer will schon eine Premiere beim Camping am Nordpol feiern ;-)

Glück braucht Zeit und gewogene Umstände. Die gegen alle Widernisse herbeizuführen ist die unmögliche Aufgabe des Taxifilmfest und seiner Initiatoren vom Team Taxikultur.

Kunst der einfachen Leute

Wir leben in einer Welt, deren Umstände es den Produzenten und Produzentinnen von Kultur oft unmöglich machen, sich als solche zu erkennen. Das gelingt offenbar nur in wenigen, historisch einzigartigen Momenten. Das Ballet der Kräne und die Symphonie der Fabriksirenen des postrevolutionären Konstruktivismus, als Kind von Arbeiterkultur und avantgardistischem Willen zur Kunst durch ihre Vereinigung für einen kurzen Moment fortschrittlichen Glücks geboren, sind das berühmteste Beispiel dafür.

Unser Hauptfilm am vierten Tags des Taxifilmfest, Wat Neuet im Westen entreißt solch einen historischen Moment, seinen Ort und seine Protagonisten dem Orcus des Vergessens. Die „Ruine“ beinahe vergessen hätten sogar wir, wenn Daya, und Anna nicht auf die Idee gekommen wären, uns ihren Dokumentarfilm fürs Taxifilmfest vorzuschlagen. Mit Super-8 Bildern eines Taxifahrers stopfen sie unsere Erinnerungslücken. Das allein sichert ihrem Film einen Platz auf der Liste unserer Lieblingsfilme in diesem Jahr.

Der goldene Westen

In Westberlin, das hier nur so geschrieben werden kann, das „nicht Teil der BRD war und nicht von ihr regiert werden durfte“, einer verarmten, nur von üppigen, aus der Schaffenskraft des westdeutschen Proletariats gespeisten Subventionen als Schaufenster der angeblichen Freiheit [1] des Westens künstlich am Leben erhaltenen Stadt, feierten die Geschäftsmodelle aus Kiegs- und Nachkriegszeiten fröhliche Urständ. Während überall in Westeuropa die alten Eliten bereits wieder erprobten Geschäften unter Ihresgleichen nachgingen, war unter dem Nieselregen der antikommunistischen Frontstadtbeihilfen ein soziokulturelles Biotop der kleinen und weniger kleinen Gauner und Abzocker entstanden.

Westberlin war die Stadt der Emporkömmlinge und Hofnarren der Kapitalismus. Zu Zeiten der Ruine am Winterfeldplatz hatte die bürgerliche Klasse, die gute Gesellschaft schon lange aus Furcht vor den Kommunisten die Flucht aus der Hauptstadt des deutschen Kapitalismus ergriffen und sich in München, Hamburg oder sogar Düsseldorf etabliert. Berlin war denen überlassen, die zu arm waren um in Westdeutschland neue Vermögen aufzubauen oder nur das Überleben im Krieg gelernt hatten. Die gewieftestenn Schlaumeier hießen Karsten Klingbeil und Sigrid Kressmann-Zschach, die Millionsubventionen abgriffen und Zeit ihres Lebens den Rachen nie voll genug bekommen konnten. Ihre abscheulichen, aus westdeutschen Steuergeldern bezahlten Monumente prägen Berlin bis heute.

Bleib sauber

Weniger Erfolgreiche ohne beste Verbindungen in höchste Mauerstadtkreise mussten sich mit Manufaktur- oder Kneipenimperien begnügen.

Subventionen gab es für alle. Die als Zitterprämie verballhornte Berlinzulage ergänzte jede erfundene oder wirkliche Lohnzahlung um acht Prozent. An die drei Milliarden Mark landeten so ab 1971 jährlich in den Lohntüten der Westberliner Arbeiter und derjenigen, die erfundene Arbeiter zum Schein beschäftigten. Ein P-Schein [2] brachte jedem Studenten, der nicht neben dem Studium arbeiten wollte, monatlich acht Prozent seines fiktiven Arbeitseinkommens ein [3]. Jeder Taxiunternehmer konnte so fiktiven studentischen Beschäftigten monatlich ein paar Hundert D-Mark fürs in seinen Augen Nichtsttun bezahlen. Angesicht von Mieten von 35 bis 120 D-Mark für Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohungen garantierte der P-Schein zusammen mit dem Bafög ein Studium ohne zusätzliche Belastungen. „Bleib sauber“ wurde zum „Mast- und Schotenbruch“ der gewiewten Westberliner. [4]

Freiheit und Kunst

Ohne Regelstudienzeiten und Masterisierung nach Lissabon-Konvention konnten "Ewige Studenten" viele Jahre in auskömmlich subventionierten Kneipenjobs ihren künstlerischen Neigungen nachgehen. Einige schufen so Bemerkenswertes. Davon wie unter diesen Umständen materielle und künstlerische Freiheit zusammenwirkten erzählt Wat Neuet im Westen.

Erich Maria Remarque hätte seine Freude an einer Jugend gehabt, die sich fröhlich ihren Lebensunterhalt aus den Scherben des letzten großen Kriegs zusammenklaubte.

Das Abendprogramm „Nachtleben“

Das Taxifilmfest präsentiert ein tägliches Kinoprogramm in Spielfilmlänge mit Vorfilm.

Today Artist, Tonight Taxist zeigt ein Rumänien, das sich zunächst anfühlt wie das Mauerstadt-Idyll, wo Kunst und am Taxilenkrad schnell verdientes Geld harmonierten. Die Boheme von heute ähnelt ihren Vorgängern, ist jedoch ärmer und lebt unter erbarmungsloseren Verhältnissen als im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert.

No Where zeigt ein futuristisches, reiches China, in dessen Kälte Menschen schwer zusammenfinden.

Nach so viel Schwermut zeigen wir einen kurzen optimistischen Ausblick auf scheinbar Unmögliches, bevor wir in Wat Neuet im Westen von Daya Lavine Sieber, und Anna Herrmann abtauchen.

Das Taxikultur Team wünscht viel Spaß bei einem erhellenden Abend.


[1Es ging um die Freiheit unter der Knute des weltweit mordenden US-Imperialismus. Der Vietnamkrieg der USA hatte den Indochinakrieg der Franzosen längst an Brutalität übertroffen und wurde vom vietnamesichen Volk gewonnen. In den USA wurde darauf sich eine der deutschen ganz ähnliche Dolchstoßlegende in die Welt gesetzt.

[2Volkstümlicher Begriff für den im Behördendeutsch „Fahrerlaubnis zur Personenbeförderung“, auch als Taxischein oder Busführerschein benannten Ausweis.

[3Die Höhe der von Sozialabgaben befreiten studentischen Einkommen war nur in vorlesungsfreien Zeiten unbegrenzt. Auch die Regeln des Bafög deckelten die Zusatzeinkünfte von Studenten.

[4Zwei Worte für Setz auf Dein Glück, bescheiße wo du kannst, aber lass die Kirche im Dorf, damit wir uns beim nächsten mal in alter Schönheit wiedersehn.

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