Taxifilmfest 2025 - Rückschau und Ausblick

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Interview und Bild Dr. Wolf Siegert, mit Irene Jaxtheimer, Klaus Meier und Stephan Berndt am 22.2.2025 um 22:30 Uhr
WS: Heute ist der 22. Februar 2025, und wir befinden uns hier in einer kleinen Gruppe von Kuratoren am Ende des jüngsten Festivals dieser Berlinale. und es gibt hier Menschen in diesem Kuratorium, die kenne ich schon aus der Zeit der Berlinale, als wir schon Mitte der achtziger Jahre angefangen haben uns zu wehren gegen gewisse Entwicklungen und zu sagen, wir wollen nun auch die elektronischen Medien in diese Filmwelt heben, aber jetzt ist etwas ganz anderes der Fall.
Wir haben elektronische Medien, mit denen wir Filme produzieren können, nicht nur wir sondern jeder auf dieser großen weiten Welt, und es ist zum zweiten Mal gelungen, und zum ersten Mal in einem wirklich beeindruckenden Verfahren, all diese Menschen aufzurufen und sagen ’all diese Filme, die irgendetwas mit dem Thema Taxi zu tun haben, mögen sie einreichen zu diesem zweiten Berliner Taxifilmfest.
Und die Kuratoren dieses Taxifilmfest sitzen mir jetzt gegenüber, wir haben einen ganz langen Abend bereits schon gemeinsam hier verbracht, um die Preise zu verteilen, um die Filme noch einmal vorzuführen. Deshalb sollten wir mit der Zeit nicht übertreiben, aber wir sollten ihnen zumindest die Chance geben, sich kurz vorzustellen. Ladies first.
Wer, was und warum
IJ: Mein Name ist Irene Jaxtheimer. Ich bin seit letztem Jahr in dieser Kulturgruppe. Gemeinsam haben wir das Taxifilmfest letztes Jahr aus dem Boden gehoben, um uns gegen die Uber-Macht, die damals die Berlinale gesponsert hat, zu wehren, was uns auch gelungen ist. Sie sind nicht mehr Sponsor und wir haben jetzt mit Klaus Ideen dieses Filmfest gemacht. Wir sind nicht an bekannte Filme rangegangen wie letztes Jahr, sondern wir haben es dieses Jahr mit ganz neuen Filmen probiert, und das hat gut funktioniert. Wir haben Spaß und auch einige Menschen angezogen, die auch Interesse zeigten. Wir arbeiten sehr gut zusammen und fühlen uns wohl miteinander, auch wenn es zehn lange Tage sind. Jetzt sind wir froh, dass wir erst einmal Pause haben.
SB: Ich bin Stephan Berndt, ich habe einen Taxibetrieb hier in Berlin, mit 50 Beschäftigten und ich habe vor einigen Jahren, es ist jetzt 10 bis 12 Jahre her, da habe ich einen Taxiverband gegründet, um auch die Mehrwagenbetriebe, die ordentlich arbeiten, vertreten zu sehen, weil das gab es bis dahin nicht.
Wir sind uns damals näher begegnet, ich habe Irene damals in den Vorstand geholt, und sie ist bis heute noch drin. Ich habe mich verabschiedet in die, ich sage mal ’Spaßguerilla’. Im Rahmen unserer Arbeit, die wir über das Taxifilmfest hinaus auch vorhaben ein bisschen zu erweitern mit einem Taxikulturfest, was wir gerne veranstalten wollen. Klaus hat auch noch ein paar Ideen, zu denen er gleich etwas sagen wird.
Wir verfolgen nun diese Idee, dass Taxi ist ein Teil der Kultur dieser Stadt ist, und all die Menschen, die in diesem Gewerbe arbeiten so viel mehr sind als einfach nur Kutscher, die ein Fahrzeug durch die Stadt steuern. Das sind Künstlerinnen, das sind Leute mit ganz vielen Qualitäten und Talenten, und dieses Stück Kultur möchten wir gerne erhalten sehen, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, obwohl das natürlich der erste Gedanke ist, aber auch den Unterschied klar zu machen zu den Plattformkapitalisten, die hier einfallen, und denen es einfach nur um Kohle geht, die schlechte Arbeitsbedingungen schaffen, prekäre Arbeitsverhältnisse, die den Sozialstaat plündern, die illegal arbeiten.
Dagegen wollen wir etwas setzen, das schon lange existiert, was gewachsen ist, was ein Teil dieser Sache ist, und dazu nutzen wir jetzt auch diese Mittel, und das macht sehr viel Spaß. Das ist viel kreativer als nur zu sagen ’ich bin dagegen, und ich finde das scheiße’ und auf die Straße zu gehen und zu protestieren. Das gehört alles dazu, aber wir greifen es einfach auf dieser kulturellen Schiene an.
KM: Ich bin Klaus Meier und ich bin total froh, dass ich Euch habe für dieses Projekt und sonst. Wir haben uns in jetzt über einem Jahr dieser eigenartigen Zusammenarbeit kennengelernt, und es geht, wir können mehr machen. Das ist eigentlich das Wichtigste an der ganzen Geschichte. Und was Kunst und Gewerbepolitik angeht, gucken wir mal, wie weit wir damit kommen.
Ich kann nur sagen, dass der Versuch, auf Empfehlung von Hiro [1], mal eine weltweite Ausschreibung zu machen, und dafür einhundert Dollar in die Hand zu nehmen, ein riesiges Konvolut an für uns völlig unbrauchbarem Datenschrott geliefert hat, aus dem sich dann, aus 1640 Einsendungen aus denen sich dann um die 60 wirklich gute, verwendbare Filme herauskristallisieren ließen, von denen wir ungefähr die Hälfte zeigen konnten, und wir haben eine Hälfte, die immer noch darauf wartet, von uns mit einem Forum ausgestattet zu werden, in dem sie wahrgenommen werden.
Das hat dann zwei Dinge zur Folge. Zum Einen schaffen wir damit für die Filmemacherinnen und Filmemacher eine Plattform, die wollen und sollen gesehen werden, weil etwas Relevantes zu sagen haben, und wir haben eine weitere Gelegenheit, Leute einzuladen, Selbstreflektionen anzustellen, uns rumzustreiten über das, was wir da sehen, und damit ein Stückchen weiter zukommen.
Davon abgesehen haben wir es in diesem Jahr hinbekommen, einen Workshop Gegenkartografie zu machen, in dem wir herausgearbeitet haben, in kleinem Rahmen, was Taxifahrer können, was Taxifahrer drauf haben, was du mit der App und vor allem mit dem Uber-System überhaupt nicht hinbekommst. Ich denke, das ist ein wichtiger Beitrag dazu, zu gucken, wie es mit Taxi überhaupt weitergeht.
Es gibt Dinge, die werden aufhören, die müssen aufhören. Das Uber zum Beispiel ist eine Übergangslösung. Diese ganzen unqualifizierten Fahrer werden nicht lange überleben. Die werden irgendwann durch die Roboter ersetzt, aber die Taxifahrer, die das drauf haben, was wir in diesem Workshop erarbeitet haben, die sind unschlagbar, die kriegst du mit diesen automatisierten Methoden nicht aus der Welt. Und das ist gut so, weil das sind die Leute, die etwas für die Stadt und die Menschen tun können.
Das ist der politische Anspruch des Taxifilmfest, und der ästhetische ist einfach, sich gute Filme anzugucken und zu entdecken, und ich denke, da haben wir einfach Glück gehabt, dass wirklich tolle Sachen rein gekommen sind.
Entdeckungen
WS: Nach diesen Eingangsstatements müsst man eigentlich eine ganze Sendestunden haben, um all das zu entfalten, was hier gesprochen wurde. Diese Möglichkeit haben wir nicht, sondern wir können heute eigentlich nur eine kleinen Trigger, einen kleinen Anstoßer bauen, für Neugier. Und die Neugier ist die gleiche, wenn man im Wagen sitzt und von A nach B chauffiert wird und plötzlich erfährt, was da draußen auf der Straße eigentlich alles ereignet, und vielleicht sogar im Kopf dessen, der den Wagen fährt, und vielleicht dazu noch phantasiert, was im eigenen Kopf passiert, während man durch diese Straßen fährt.
Diese Interaktion von Mensch, Maschine und Landschaft ist doch ein großartiges Ereignis, das aus meiner Erfahrung oder aus meinem Seh-Erleben deutlich wurde, und zwar aus ganz, ganz, ganz unterschiedlichen Erfahrungen und Kulturen. Das wahrscheinlich auch das Beeindruckende, denn wir haben Bilder gehabt aus aller Herren, oder Damen, Frauen Länder, die es auch immer gegeben hat, weil sich hier alle versammelt haben. Früher war meine Erfahrung immer, es gibt die freiwilligen und unfreiwilligen Taxifahrer. Die unfreiwilligen sind immer die, die das Studium irgendwie auffuttern mussten, und die freiwilligen sind die, die daraus tatsächlich einen Beruf gemacht haben.
Heute verschwinden diese ganzen Grenzen, es entwickeln sich ganz neue Horizonte und ich würde die zweite Runde gerne dazu verwenden, dass ihr über die Horizonte sprecht, die euch aufgrund der Wahrnehmung dieser Filme selbst aufgegangen sind.
IJ: Es ist so, dass wenn man selber im Taxi sitzt und die Leute chauffiert natürlich auch ins Gespräch kommt und darüber in Geschichten eintaucht, die zum Teil sehr spannend sind, es gibt Lebensgeschichten, die Leute sind befreit im Taxi, es ist manchmal wie ein Beichtstuhl, die Fahrgäste erzählen frei von der Seele weg ihre Sachen, weil sie wissen, höchstwahrscheinlich sieht man sich nie wieder, aber sie erleichtern sich. Man erfährt manchmal Geschichten, die einen wirklich berühren, oder man lässt sich von Berühmtheiten beeindrucken, die man im Taxi sitzen hat. Es ist immer eine Begegnung. Nicht alle wollen immer reden, das merkt man auch, dann lässt man die auch in Ruhe. Wenn man merkt, da will sich eine Dinge von der Seele reden, ich mache das jetzt nicht mehr so oft, trotzdem ist das eine spannende Angelegenheit, und das ist Leben. Das Leben findet halt manchmal auf der Rückbank vom Taxi statt.
SB: Was Irene gerade angesprochen hat, erst einmal das, was im Taxi passiert, in der Bewegung, indem man durch so eine Stadt rauscht, mit wie vielen Menschen man in einer Großstadt auch zusammenkommt, und da schließt sich wieder der Kreis zum Festival. Es gibt ja Menschen, die sind sehr viel durch die Welt gereist. Ich war auch viel unterwegs, aber ich habe nicht alle Kontinente bereist. Es gibt für mich noch viel zu sehen, aber was in dieser Stadt immer spannend war, in dieser Stadt hast du die Welt getroffen. Du hast immer wieder ein Stück dieser Welt und dieser Perspektiven in deinem Auto erlebt. Nicht nur im Auto aber gerade da, weil das ein sehr intimer Raum ist. Beichtstuhl ist ein sehr guter Begriff. Die Menschen öffnen sich, weil sie wissen, den siehst du niemals wieder, vielleicht ist man sich gerade sympathisch, und dann fließt das alles einfach raus. Das ist das Eine.
Aber der zweite Punkt, den ich dabei noch sehe, der sich bei unserer Arbeit ergeben hat, ist ganz einfach dieser Kulturbegriff, den man weit fassen kann und weit fassen muss, es sind so viele Bereiche, die in unserer Lebenswelt, in dieser Stadt, in der wir leben, von der Gier des Kapitalismus angegriffen werden. Ob das die Immobilienwirtschaft ist, die die Clubs vertreibt, und die die Menschen aus der Innenstadt vertreibt, die sich die Wohnungen nicht mehr leisten können, da ist so viel bedroht, wie auch unser Gewerbe gerade bedroht ist durch diese illegalen Machenschaften.
Für mich hat das Ganze bisher, unsere gemeinsame Arbeit diesen Kick erzeugt, deshalb auch dieses Kulturfest, wir müssen Netzwerke knüpfen, all diese bedrohten Segmente dieser Stadt, die müssen sich eigentlich verbünden, und nicht aus diesem Spargedanken heraus einen Uber nehmen, weil der vielleicht einen oder zwei Euro billiger ist, und dieses Bewusstsein durch unsere Aktionen auch in die Köpfe der jungen Menschen bringen, die sehr bildschirmaffin mittlerweile sind, die ja teilweise gar nicht mehr durch das wahre Leben laufen, sondern sich nur noch in ihrer digitalen Welt bewegen, da vielleicht ein paar Fensterchen aufzumachen und ein paar Anknüpfungspunkte zu finden, so dass man sich in Solidarität übt, miteinander gegen das, was uns alle kaputt macht. Das ist so mein Kick bei der ganzen Sache.
KM: Ja, Du hast Recht. Natürlich. Was habe ich entdeckt, bei diesem Festival? Dass es überall ein bisschen so ist wie hier. Es gibt Unterschiede, unterschiedliche Geschäftsmodell für Taxi und Mietwagen in der Welt. Die grundlegenden Mechanismen sind überall gleich, und es ist überall so, dass die qualifizierten Fahrer, die selber auch kulturelle Minimalkenntnisse haben oder ein bisschen mehr, in der Lage sind, ihrer Arbeit einen ganz anderen Sinn zu geben, bewusst oder unbewusst.
Unser chinesischer Taxifahrer, der im heutigen Film die Klammer der ganzen Geschichten bildet, ist ja so ein Beispiel. Er ist ein durch eine persönliche Tragödie abgestürzter Mensch, der seinerseits im Taxi den vielen Auswirkungen der gesellschaftlichen Entwicklungen auf die Menschen in seinem Land begegnet, und der uns das dann zeigt, was er sieht. Dieser Film ist so konstruiert, dass es dieser Mann ist, der uns seine Welt zeigt oder die Welt, die um ihn herum ist.
Ich denke, das ist das eigentlich Interessante, dass aus diesen Begegnungen, aus diesen Erfahrungen heraus, wenn sie richtig aufgearbeitet werden, wenn sie mit ein wenig Anstrengung zu Kultur gemacht werden, dass das dann eine sehr befruchtende für viel werden kann.
Die Vielzahl der Einsendungen, der Perspektiven, die wir in diesem Jahr erleben konnten, die können wir jetzt so zusammenführen, dass daraus etwas entsteht, was mehr als ein kleiner Spaß ist. ’Da setzen sich mal ein paar Taxifahrer zusammen und gucken Filme aus ihrer DVD-Sammlung’, sondern dieses Mal haben wir einen Schatz an Sichtweisen, aus unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichsten Absichten, auf unterschiedlichste dramaturgische Art inszeniert, und alles das kann uns zu einem neuen Bild von uns selber führen. Das ist eigentlich so das Interessanteste.
SB: Ein Satz dazu: Weil es immer Entwurzelung und Entmenschlichung ist, was wir erleben, egal in welcher Kultur. Das Ursprüngliche, ob das diese alten Rikschas waren oder unsere alten Droschken, das war unsere Lebenswelt, und wir sind aus dieser traditionellen Lebenswelt regelrecht raus gerissen, entwurzelt durch diese neuen Mechanismen, die so effektiv sind. Ich finde, das zerstört so viel von dem, was wir als unsere Lebenswelt begreifen. Das ist weltweit eigentlich das Selbe.
Die Preisträger
WS: Und mit der Darstellung, die wir jetzt eben gehört haben, aus der Volksrepublik China, sind wir bei einem der drei Filme, die einen Preis bekommen haben. Damit machen wir die Schlussrunde. Jeder von Euch sucht sich jetzt einen Film aus, den er gleich noch einmal für unsere Zuhörer beschreibt, und natürlich auch für die Zuhörerinnen, und für alle, die sich dazwischen bewegen, und natürlich auch für die. Und, Klaus, da Du angefangen hast mit dem einen Film, kannst Du ihn noch einmal kurz skizzieren, und die anderen beiden werden sich mit den anderen beiden Filmen auch noch einmal zu Wort melden, und dann sind wir fast durch.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit bis hierhin, und sie merken, es ist und es bleibt spannend. Klaus Meier:
China [2]
KM:Wir haben dieses Jahr einen Filmabend konzipiert unter dem Titel ’In China ist es fast wie hier’. Das was ’fast wie hier’ ist, ist die Vereinzelung der Menschen, ist ihr Ausgeliefertsein der Technologie und den bürokratischen Abläufen gegenüber. In dem Film, der dann auch ’Lonely City’ heißt, und in Chongqing, um Chongqing und um Chongqing herum spielt, entdeckt ein Taxifahrer, der selber ein tragisches Schicksal hat, in drei Episoden die Schicksale anderer Menschen, die sich zu diesen modernen Entwicklungen verhalten müssen. Allen steht etwas gegenüber, das so groß ist, so überdimensional, dass es fast schon wieder unmenschlich wird.
Der Film zeigt eine Welt, in der die Überformung der Natur durch massive Baumaßnahmen monströse Landschaften erzeugt, die sich in die historischen Landschaften fressen, in denen im achten Jahrhundert Li Bai, Du Fu oder andere berühmte Dichter ihrem damaligen tragischen Schicksal erlegen sind, und daraus Gedichte gemacht haben. Und heute gibt es, glaube ich, die Chance, anders als diese Dichter, die nur einzelne Figuren waren, durch Vernetzung, egal ob in China oder hier, Dinge in Bewegung zu setzen. Das passiert. Dieses ’In-Bewegung-setzen’ ist sozusagen subkutan. Man spürt es die ganze Zeit in den Filmen, dass Menschen agieren. Das ist, was mir Hoffnung macht, dass Dinge möglich sind, unabhängig von politischen Systemen.
Deutschland [3]
SB: Die Hoffnung, die ich habe ist, dass man mit dem Zeigen dieser Filme anderen Menschen bewusst macht, dass wir alle in dieser Mühle stecken. Die Filme selber sind ja nicht unbedingt mit einem hoffnungsvollen Ende, sie waren teilweise sehr düster, frustrierend, deprimierend. Da denke ich, wenn ich jetzt ’Es geht um Luis’ nehme, an Eltern, die keine Zeit für ihre Kinder haben, weil sie ackern müssen bis zum Umfallen, die in Arbeitsverhältnissen stecken, wo sie mehr oder weniger versklavt werden, unmenschlich arbeiten müssen. Unter diesen Bedingungen leiden viele Menschen, und indem man das aus verschiedensten Perspektiven zeigt, ob das der Paketfahrer in Großbritannien ist, oder der Taxifahrer in China oder in Berlin, es spielt eigentlich keine Rolle. Wir haben überall diese Lebensverhältnisse, die uns immer mehr entmenschlichen.
Ich glaube, wenn wir uns bewusst machen, dass das der Untergang unserer Kultur ist, welcher Kultur auch immer, ob das hier ist oder woanders, dann müsste man sich doch eigentlich global dagegen wehren. Ein bisschen Bewusstsein dafür bei anderen Menschen zu schaffen, die sich die Filme anschauen, das ist das Hoffnungsvolle.
Berlin [4]
IJ: Dann hatten wir noch den Film aus den Achtzigern, wo ich gerade nach Berlin gekommen war, der über die Ruine berichtet. Die Ruine war damals ein zerbombtes Haus, von dem noch der Gastraum, der erste Stock und der Keller übrig waren. Der eine Taxifahrer, der Knut Hoffmeister, der damals auch in der Spontiszene unterwegs war, hat daraus Super-8-Material geliefert, was wiederum die beiden Frauen aus München, die an der Filmhochschule noch studieren, zu einem Film weiterentwickelt haben, dafür Interviews geführt haben mit Menschen aus der Zeit damals, die jetzt sehr alt schon sind, und uns das näher gebracht haben. Knut Hoffmeister mit seiner Band ’Die notorischen Reflexe’, die wie der Name schon sagt, ein bisschen experimentell waren von der Musik her, die etwas Durcheinander gebracht haben, oder die Hausbesetzerszene, die gleichzeitig voran ging, es wurde etwas bewegt. Es sollte nicht stehen bleiben, sondern es sollte etwas aufgemischt werden, was ja auch passiert ist.
Die Ruine wurde dann dicht gemacht, das gab dann auch Proteste, und das war dann auch der Grund dafür, dass wir diesen Film in der wilden Renate gezeigt haben, da die auch in Kürze Ende dieses Jahres schließen müssen.
Es ist ein Club, der die ganze Zeit gut funktioniert hat, aber dann das Geld doch nicht dafür reicht, die hohen Mieten zu bezahlen, und so Kultur, Clubs beendet werden. Das war der richtige Ort, um diesen Film zu zeigen. Wir haben auch junge Leute dazu gekriegt, sich damit zu beschäftigen, das ist ja auch das Interessante, die eigentlich vom Taxi weit weg sind, normalerweise bei der heutigen Zeit. Das hat mich berührt, dass sie sich dann um solche Sachen kümmern, um eine alte Geschichte aus den Achtzigern, toll ! Die haben das wieder auf den Tisch gebracht und wir können darüber diskutieren, wie das damals war und wie das jetzt ist, und ob wir da noch Hoffnung haben, dass es doch wieder eine Rettung geben könnte.
Und jetzt? Was als nächstes kommt.
WS:Die Schlussrunde hat nichts mit dem Thema Schluss zu tun, weil wir befinden gerade uns erst am Beginn einer Entwicklung von jetzt zwei Jahren, die sicherlich ihre Fortsetzung finden wird, und die sicherlich auch die nächsten Monate und vielleicht Jahre unter der Website www.taxifilmfest.de studiert werden kann, sondern an Schluss gebe ich Euch noch einmal das Mikrofon zu einer Frage, die ich gar nicht gestellt habe, aber die Euch vielleicht wichtig wäre, und auf die Ihr vielleicht eine Antwort habt, die ich gar nicht kennen kann, weil ich die Frage nicht gestellt habe. Also, es wird absurd, es wird philosophisch, aber es wird vielleicht auch eine Möglichkeit geboten, einfach mal etwas zu sagen, weil Ihr ja keinen Film gemacht habt, aber was Euch dennoch wichtig wäre, unserem Publikum mitzuteilen, und deshalb geht noch einmal das Mikrofon durch diese Gruppe, die sich so wunderbar gefunden hat. Ladies first.
IJ: Interessant wäre die Frage, ob wir nicht selber mal einen Film machen könnten, der uns dann noch ein bisschen näher an die Tatsachen bringt, die wir ja kennen, und so etwas auch mal darstellen könnten aus unserer Sicht. Natürlich bräuchte man dafür auch viel Zeit und Muße, Ideen und Protagonisten, das würde mich mal interessieren, ob wir das hinkriegen würden.
SB: Ohne gefragt zu werden, ist es immer ein bisschen schwierig, weil wir haben jetzt schon so viel erzählt, aber ich glaube, dass genau diese Verknüpfung von Film als Medium mit den verschiedenen Kulturen, aber auch mit dieser Zeitreise, die wir ja immer wieder gemacht haben, wir waren in den Siebzigern, wir waren auch in der Zukunft, wir haben Roboterfilme gesehen, diese ganzen Themen können uns wirklich dahin führen, dass wir mit unserem Projekt wirklich Menschen ansprechen, die viel jünger sind als wird, aber denen sich dann diese Welten öffnen. Das wäre wunderschön, wenn uns das ein Stück weit gelingen könnte. Die jungen Menschen sind bei weitem nicht so unpolitisch, wie viele von uns alten immer denken. Ich sehe das bei meinen Töchtern und ihren Kreisen, wie die unterwegs sind. Die sind empfänglich, aber es muss auch etwas kommen aus unserer Generation, anstelle nur zu hustlen und zu gucken wie der Monat rumgeht. Da wäre ich sehr glücklich, wenn wir dazu einen Beitrag leisten könnten im nächsten Jahr.
KM: Was kommt Neues? Ja, das was Du sagst kommt, und das mit dem Film, mit dem selbst gemachten machen wir auch, natürlich, genau, es gibt ja schon einige Ansätze. Was mir noch wichtig wäre, dass das, was wir im letzten Jahr aus vielen Gründen nicht gemacht haben, dieses Jahr hinkriegen, nämlich eine richtige Auswertung von all dem was jetzt passiert ist, was wir gesehen haben, was wir miteinander besprechen können, die Kontakte, die sich ergeben haben zu Projekten weiterentwickeln, das würde mich interessieren, und Ideen gibt es ja nun genug, sei es Taxifilmfest extended, sei es das Taxifilmfestorchester zur Fête de la musique, sei es, you name it. Da kommt was.
WS: Und damit ist dieses Gespräch beendet, aber das Projekt ist gerade erst dabei, sich zu entfalten, das wurde glaube ich jetzt deutlich. Wenn es mir gelungen ist, mit diesem kleinen Gespräch meinen Anteil dazu beizutragen, dass die Auswertung sich weiter so gut entfaltet wie in diesem Gespräch, dann ist alles dafür getan, dass wir in einigen Jahren eine ’Taxinale’ haben werden, bei der alles in der gleichen Qualität erscheint, wie wir es heute auf dem roten Teppich von nebenan erlebt haben.
Vielen Dank für das Gespräch, vielen Dank für das Engagement, und jetzt einen wunderbaren Feierabend.
Dieser Text wurde zuerst als Podcast veröffentlicht auf DaybyDay ISSN 1860-2967 unter dem Titel TaxifilmFestFinale.
[1] Hiroomi Fukuzawa ist ein langjähriger Kollege von Ulrich Gregor beim Internationalen Forum des jungen Films der Berlinale
[2] „China“ steht für die vielen hervorragenden Einsendungen aus Asien, Südamerika und Afrika die wir im kurzen Abschlußgespräch nicht erwähnt haben.
[3] Taxifahrer in „Deutschland“ befinden sich in einer ähnlichen Situation wie die Kolleginnen und Kollegen in anderen europäischen Ländern. Über die aus diesem Kontext entstandenen Geschichten sprechen wir an anderer Stelle..
[4] Berlin ist nicht Deutschland. Das galt zu „Mauerzeiten“ noch mehr als heute.